wienersportclub.com: Lieber David, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast.
Die letzten Monate waren für die Fußballsektion durchaus turbulent. Lass uns mit etwas beginnen, was einige in den letzten Tagen verwundert hat: Warum weichen wir für unser Heimspiel am 21. November auf die WFV-Anlage in Hirschstetten aus?
David Krapf-Günther: Gerne. Unser Ziel war es, mit allen 16 Vereinen – diese Einigung war für die 16er-Liga schon gelungen – das Heimrecht zu tauschen. Da wir mit Gloggnitz leider zu keinem Platztausch kommen konnten, wurde es überhaupt erst notwendig, ein weiteres Heimspiel zu planen.
Und warum wurde es nicht wie bisher auch unser Trainingszentrum?
Wir haben im Laufe der letzten eineinhalb Jahre den Spielbetrieb in unserem Trainingszentrum unter tatkräftiger Mithilfe von Fans und Unterstützern gemeistert, eine Tribüne ausgegraben, Infrastruktur geschaffen, Hunderte von Begehungen und Prüfungen abgewickelt. Leider kam es zu immer mehr Beschwerden und Einwänden einer kleinen Gruppe von Nachbar:innen. Normalerweise wäre dies bei aufrechtem Bescheid und Einhaltung dieser Vorgaben unangenehm, aber trotzdem machbar gewesen. Es ging jedoch schon so weit, dass besagte Nachbar:innen weitere Auflagen im aufrechten Bescheid – verbunden mit neuen zusätzlichen Kosten für die Umsetzung – erwirkten, eine Klage gegen den Verein eingereicht haben und sogar schon Auswirkungen auf unseren Trainings- und Spielbetrieb im Frauen- und Nachwuchsbereich im Trainingszentrum erreicht haben.
Eine weitere Verschlechterung dieser Situation, weitere Einsätze der MA 36 und der Polizei hätten für den Verein unverhältnismäßig negative Auswirkungen, und daher mussten wir entgegen unserer Überzeugung und Planung das Spiel zum Wohle des Vereins auf die WFV-Anlage verlegen.
Das hört sich alles nicht unbedingt angenehm an.
Es war für uns allein schon die Übersiedelung aus dem Stadion ein enormer Aufwand. Die Erdbrustgasse in der RLO mit all den Veranstaltungsvorgaben zu bespielen, war ebenfalls ein Kraftakt.
Im Trainingszentrum zu spielen, war natürlich auch eine bewusste, wirtschaftlich unausweichliche, jedoch zeitlich beschränkte Entscheidung. Auch im Nachhinein mit all den jetzt bekannten Schwierigkeiten rund um den Spielbetrieb war es trotzdem die einzig machbare Variante, diese Zeit zu überstehen. Unser Ziel war es, bei all den Unwegsamkeiten, Unannehmlichkeiten und Notwendigkeiten einen goldenen Mittelweg zu finden.
Einige fragen sich warum wir nicht in der Nähe unserer Heimspielstätte hätten verbleiben können? Alternative Plätze in der Nähe würde es doch geben.
Wir haben natürlich auch schon intensiv die Möglichkeiten vorab geprüft: Einige Anlage haben keine Zulassung für den RLO-Spielbetrieb, nicht die geeignete Platzgröße, einen Rasenzustand, der keinen Spielbetrieb in der dritten Leistungsstufe zulässt, bei manchen ist der finanzielle Aufwand zu hoch, andere Anlagen haben kein Flutlicht und bei den meisten Anlagen sind die Veranstaltungskapazitäten auf 300 bis 500 Besucher ausgerichtet. Damit hätten wir wieder zusätzliche Veranstaltungskosten neben der Platzmiete zu tragen gehabt. Wenn wir es uns hätten aussuchen können, wären uns auch einige Alternativen lieber gewesen.
Die WFV-Anlage hat einen top Rasen. Wir dürfen dort aufgrund unseres Umbaus im Stadion auch gratis spielen, und daraus ergab sich die fast alternativlose Entscheidungsfindung. Es war nicht unser Wunsch, aber im Übergang, den wir seit zwei Jahren leben, ist es kein Wunschkonzert.
Ich hoffe, nach dem ersten Frust können die Fans dies auch so annehmen und unterstützen die Mannschaft in der so unangenehmen Phase wie bisher auch.
Wie siehst du die Auswirkungen auf den sportlichen Bereich?
Die sind nicht von der Hand zu weisen. Es hat uns als gesamten Verein in allen Bereichen an die Grenzen des Machbaren getrieben. Spieler, Betreuer, Fans, Funktionäre, Helfer, einfach alle hatten und haben zu kämpfen. Wir wussten von Anfang an, dass diese Jahre ohne Stadion die intensivsten, schlimmsten, scheußlichsten und aufreibendsten der jüngsten Vergangenheit sein werden.
Gute Überleitung: Wie fällt Dein sportliches Zwischenfazit aus?
Vernichtend, da gibt es nichts zu beschönigen. In unseren schlimmsten Vorstellungen war eine solche Leistungskurve nicht abzusehen. Dass wir in einen solchen Antilauf reinschlittern, der darin gipfelt, dass wir in drei Spielen kein Tor schießen, muss auch ich zum ersten Mal hinnehmen. Wir haben in einigen Spielen, wie zum Beispiel in Retz und gegen Union Mauer, direkt zum Start unnötig Punkte liegen gelassen, haben uns das Leben selbst schwer gemacht und sind dann gefühlt sofort emotional steckengeblieben.
Woran liegt es aus Deiner Sicht, dass man sich auf Platz 14 wiederfindet, nach all den eigentlich starken Verpflichtungen und auch den eigenen hoch gesteckten Ansprüchen?
Am Ende nur an uns! Ich bin überzeugt davon, dass wenn wir unsere Fähigkeiten und unser Können auf den Platz bringen und dabei unseren Matchplan umsetzen, wir in jedem Spiel in der Regionalliga um den Sieg spielen könnten.
Was machst Du als Gründe dafür aus, dass es nicht so gelaufen ist?
Versagen in den entscheidenden Situationen. Punkt. Kein Schönreden, keine Ausreden. Es spielt zwar mit, dass wir in dieser Saison schon von Beginn an mit sehr großen Verletzungssorgen zu kämpfen haben: Neuzugang Daniel Kalajdžić ist wochenlang ausgefallen, Patrick Puchegger ist mit der schweren Verletzung den ganzen Herbst raus, Leo Ivkić hat wochenlang gefehlt; weiters: Lucas Pfaffl monatelang raus, Pascal Macher einige Spiele verletzt verpasst, Flo Steiger bis zum Winter raus, Marcel Röhricht verletzt gewesen, Aichinger ebenfalls wochenlang ausgefallen, Akrap monatelang raus, Radulovic monatelang raus … Wie gesagt, das darf aber keine Ausrede sein. Was in der Betrachtung von außen aber meist nicht gesehen wird, ist, dass auch wenn ein Spieler dann wieder gesund ist, ihm wochen- oder monatelange Trainingseinheiten fehlen. Er ist dann weit weg von fit und kann nie bei 100 Prozent sein.
Auch dass wir uns sechs bis sieben Gegentore teilweise komplett unbedrängt selbst geschossen haben, darf nicht dazu führen, dass wir uns hängen lassen und aufhören, an uns zu glauben.
Was sind logische oder nötige Konsequenzen?
Wir müssen welche setzen. Wir haben nüchtern analysiert, was uns fehlt, um wieder aufzustehen, und welche Schritte wir setzen können beziehungsweise müssen.
Das bedeutet?
Wir werden im Winter einige Veränderungen vornehmen müssen. Manches Mal muss man sich dann auch eingestehen, dass Erwartungen und Entwicklungsschritte nicht erfüllt wurden.
Die Trennung von Trainer Weinstabl wird in der Fanszene gespalten gesehen. Einige haben es als höchste Zeit angesehen und einige sahen im Trainer nur das schwächste Glied.
Ich vermute, diese zwei Meinungen wird es immer geben, bei jedem Trainer in jedem Verein, und ich kann sie auch nachvollziehen. Wir und auch Robert sind uns bewusst, dass es ganz schnell von der einen in die andere Richtung gehen kann.
Grundsätzlich haben wir in den letzten Jahren gezeigt, dass wir nicht gleich nach einer Niederlage alles schlecht reden oder nach Siegen alles in den Himmel loben. Ich denke, wir haben eine klare und zielgerichtete Sicht, versuchen die Emotion, die im Fußball oder generell im Sport immer dabei ist, ein gutes Stück auszublenden, wenn es um Entscheidungen geht. Genauso auch bei dieser für uns schweren Entscheidung.
Viele Außenstehende, die natürlich ihre Meinung haben, können sich kein Bild von den Trainingseinheiten machen, den Ansprachen vorm Team, den Gesprächen mit einzelnen Spielern, der akribischen Arbeitsweise. Deshalb ist eine Beurteilung des Trainers natürlich immer noch ein Stück weit schwerer als vielleicht bei einer Spielerleistung.
Ich möchte nur noch einmal betonen und daran erinnern, wie Robert uns in der letzten Rückrunde dann durch zahlreiche gewonnene Spiele in den ÖFB Cup geführt hat und auch in seiner ersten Amtszeit den Verein ganzheitlich sportlich auf ein neues Niveau gehoben hat.
Die Entscheidung war für beide Seiten nicht einfach. Wir sind letztlich übereingekommen, dass es zum Wohle der Mannschaft einen neuen Impuls braucht. Ich bin absolut kein Fan von Trainerwechsel während einer Saison, aber in den Gesprächen mit Robert haben wir gemeinsam das Für und Wider abgewogen; dann kam es zu dieser Entscheidung.
Mit Stefan Rapp wurde ein neuer Trainer geholt. Warum hat man sich für ihn entschieden?
Mit Stefan haben wir schon in den letzten sieben bis acht Jahren immer wieder Kontakt als gegnerischer Trainer gehabt, und er war einer unserer Kandidaten. Stefan ist ein Trainer, der eine gute Mischung darstellt. Er ist ein sehr erfahrener, fachlich kompetenter Trainer, der bereits einiges im Trainergeschäft mitgemacht und auch erreicht hat. Gleichzeitig ist er aber auch ein Trainer, der Struktur und Ruhe ausstrahlt beziehungsweise vorlebt. Wir waren der Meinung, die Mannschaft benötigt jetzt neben der fachlichen Kompetenz, Führung und auch wieder ein Stück weit neues Selbstvertrauen eingehaucht.
Unter anderem kam die Frage auf: Warum einen Trainer vom Tabellennachbarn hinter uns – bis vor Kurzem – holen, um bei uns zu übernehmen?
Ich kann diese Frage natürlich verstehen. Wir entscheiden uns jedoch nicht für einen Trainer aufgrund seiner derzeitigen Situation, zum Beispiel vereinslos, oder aufgrund seiner letzten Station, zum Beispiel wenn er beim letzten Verein während der Saison gehen musste. Genauso beurteilten wir in Stefans Fall die Tabellenplatzierung von Neusiedl nicht zu sehr.
Stefan hat in seiner Trainerlaufbahn schon bei einigen Vereinen bewiesen, was ihn als Trainer ausmacht. Dies hat er übrigens auch bei Neusiedl letztes Jahr zeigen können, als sie mit einer guten Mannschaft die Liga aufgemischt haben. Dies gelang ohne große Stars, durch das Ausschöpfen des Potenzials jedes einzelnen vorhandenen Spielers.
Eine seiner vielen Stärken ist es, einzelne Spieler besser zu machen, eine Mannschaft als Einheit besser zu machen. Deshalb haben wir ihn geholt. Die Situationsaufnahme eines 14. Platzes mit einer Mannschaft, die viele Stützen des Vorjahres verloren hat, würde ein falsches Bild bei der Beurteilung seiner Fähigkeiten abliefern.
Neusiedl war verständlicherweise nicht erfreut!
Es wäre sicher kein gutes Zeichen, wenn Neusiedl seinen Trainer gerne abgegeben hätte. Ich habe auch Verständnis für Neusiedl. Trainerwechsel – auch unter der Saison – gehören im Fußball aber dazu. Wir waren vor ein paar Jahren mit Robert Weinstabl in derselben Situation. Damit gilt es entsprechend professionell umzugehen. Wenn Neusiedl sich dagegen ausgesprochen hätte, hätten wir dies auch respektiert.
Neusiedl hat dem Wiener Sport-Club hierbei schlechten Stil vorgeworfen. Wie reagiert man auf derartige Vorwürfe?
Meist versuche ich dabei, die Emotion so gut es geht rauszunehmen. In den vergangenen Wochen mussten wir einige sehr überraschende Kommentare in TV, Print und sozialen Netzwerken zur Kenntnis nehmen. Unser Gastspiel in Neusiedl war dann noch einmal durch eine Reihe von Unsportlichkeiten und kleinen Provokationen geprägt.
Unsportlichkeiten?
Vom Einlass, über eine winzigst zur Verfügung gestellte Umkleidemöglichkeit für 22 Personen, bis hin zu offiziellen Ausdrucken hat man versucht, uns zu provozieren.
Wie gehst du mit den kritischen Stimmen gegenüber deiner Person und dem Vorstand um?
Leider lese ich doch noch das ein und andere Mal Kommentare in den sozialen Medien. Es geht natürlich nicht spurlos an einem vorüber, gehört leider mit dazu. Aber natürlich – ähnlich wie vorhin beschrieben – kann ein Außenstehender aus meiner Sicht nicht alles wissen, um zu einem fundierten Urteil zu gelangen. Manche verlieren sich dann in Gerüchten oder stellen auch gerne eigene fantasievolle Annahmen auf, um ihre Sicht der Dinge zu untermauern.
Spannend war auch das Gerücht, wir hätten so viel Geld und zahlen so gut. Da muss doch mehr rausschauen, da könnten wir doch noch bessere Spieler und namhaftere Trainer holen.
Jeder, der sich ein wenig mit der RLO beschäftigt, weiß, dass wir was unsere aktuellen finanziellen Möglichkeiten und Gehälter angeht in der Liga im unteren Mittelfeld angesiedelt sind. Das ist auch dem Stadionbau geschuldet.
Spätestens seit unseren Konkursen und den Zahlungsgebarungen aus WSK-Zeiten können wir gar nicht darüber nachdenken, auch nur einen Spieler nicht offiziell anzumelden und nicht alle Gehälter für die Finanz transparent zu machen. Wir bekommen unsere Spieler und Trainer sicher nicht wegen der Höhe unserer Gehälter. Wenn man sich einige der Angebote anhört, die unsere Spieler erhalten, glaubt man jedoch des Öfteren, dass das Geld abgeschafft wurde.
Es waren in den letzten Wochen zunehmend kritische Kommentare zu lesen. Hast du dafür Verständnis?
Natürlich. Ich bin keine Maschine, habe auch Emotionen, und oft benötigt es auch ein Ventil, um den Frust über die Leistungen und die Ergebnisse rauszulassen. Ich selbst bin in dieser Saison nach den Spieltagen das ganze Wochenende nicht mehr zu gebrauchen; es beschäftigt mich morgens bis abends und leider auch danach. Die Enttäuschung ist riesig, kaum in Worte zu fassen. Auch Funktionäre sind in erster Linie Fans. Es schmerzt jede Niederlage und noch einmal mehr, wenn wir Spiele so verlieren wie aktuell.
Wenn es sportlich nicht läuft, ist es verständlich und nachvollziehbar, dass Unzufriedenheit vorhanden ist.
Sollte deiner Meinung nach die aktuelle Gesamtsituation ein wenig mehr in die Beurteilung von gewissen Bereichen mit einfließen?
Viele kennen die schwierige Gesamtsituation, aber all das ist zweitrangig, wenn wir nicht sportlich wieder in die Spur finden. Dafür habe ich Verständnis. Wir müssen wieder Ergebnisse liefern.
Wann wird geliefert?
Ich habe es vorhin schon kurz angesprochen: Durch die vielen langwierigen Verletzungen wird ein Großteil der Mannschaft vor vollständig absolvierter Wintervorbereitung nicht wieder bei 80, 90 oder 100 Prozent sein können. Ganz realistisch betrachtet werden wir in den letzten beiden Spielen vor der Winterpause kämpferisch alles reinwerfen müssen, unsere Körper samt Ball ins gegnerische Tor werfen, wenn es sein muss, um dann daran zu arbeiten, dass wir die verletzt gewesenen, lange trainingsabwesenden Spieler wieder spielfit bekommen. In den letzten Wochen haben sich viele Spieler nur durchgebissen, sind aber eigentlich noch lange nicht so weit, und das sieht man dann auch. Aber jeder will trotzdem alles versuchen, um uns 30 oder 40 Minuten zu helfen, auch wenn der Körper es noch nicht wieder hergibt.
Im Vereinsumfeld hört man oft über große Ziele wie die Rückkehr in die 2. Liga mit dem neuen Stadion. Wie beurteilst du die aktuelle Situation des Vereins hinsichtlich der großen Ziele?
Selbstverständlich ist es unser Ziel als Mannschaft, als Sektion und Verein, über einen sportlichen Wettkampf das Maximum rauszuholen. Wir werden immer danach streben, Spiele zu gewinnen, jedes Spiel zu gewinnen und Titel zu erringen. Damit einhergehend wäre dann ein Aufstieg und das Messen in der nächsthöheren Spielklasse. Ich denke, dies sollte immer der Anspruch beziehungsweise das Ziel sein. Sobald wir unser neues Stadion bespielen können, werden wir wirtschaftlich und sportlich gefordert sein, nachzuziehen; mit dem Ziel, in die nächsthöhere Spielklasse zu kommen.
Sind dann schon die von dir angesprochenen Veränderungen im Winter ein Nachziehen?
Die Spieler, die wir holen wollen, kann man als Vorgriff für den Sommer sehen; ja, definitiv.
Möchtest du zum Abschluss noch etwas loswerden?
Bitte unterstützt unsere Mannschaft weiterhin wie auch bisher. Bitte kommt zu unserem „Heimspiel“ am 21.11. Der Trainer braucht noch ein wenig Zeit. Wir haben einen guten Trainer geholt, keinen Wunderheiler. Gemeinsam werden wir als Wiener Sport-Club alles geben und dann in der Rückrunde ein unglaubliches Stadion beziehen, in dem wir jeden Gegner bezwingen können.
Das Interview führte Marcel Ludwig.